Die Kraft der Musik und der Poesie

Ein Beitrag von Christine Reichold

Musik begleitet uns unser Leben lang. Wir alle können uns noch an Kinderlieder, die Lieblingslieder im Teenager-Alter oder die Musik zu Weihnachten, beim ersten Kuss oder der Hochzeit erinnern. Musik weckt Gefühle in uns – sie kann uns aufmuntern, in Melancholie versetzen, nachdenklich stimmen, in Erinnerungen schwelgen lassen.
Kann man Musik also als eine Universalsprache der Menschen verstehen? Alle Kulturen machen Musik. Wissenschaftlichen Untersuchungen von Kognitionsforschern der Harvard Universität und der Universität Wien zufolge wird sie immer in ähnlichen Kontexten mit ähnlichen Eigenschaften verwendet. Überall auf der Welt ist Tanzmusik zum Beispiel schnell und rhythmisch, Schlaflieder hingegen langsam und weich. Emotionen in der Musik werden meist kulturunabhängig verstanden. Musik verbindet Menschen auch unabhängig von ihrem Alter. Selbst die Jüngsten bewegen sich intuitiv zu rhythmischer Musik und reagieren mit Emotionen auf Melodien.

Von dieser Universalkraft der Musik ist auch der US-amerikanische Musikproduzent Berry Gordy überzeugt. Menschen mit Musik glücklich machen, so beschrieb einmal Berry Gordy seine Mission. 1959 gründete er in Detroit das legendäre Plattenlabel Motown. Er glaubt an Musik als das Medium, um Menschen ungeachtet ihrer Hautfarbe zusammenbringen zu können. Auf Motown sollte daher nicht „Black Music“ erscheinen, sondern Musik für alle Menschen. Trotz überwiegend unpolitischer Songtexte leistete das Label einen historischen Beitrag zur Emanzipation afroamerikanischer Kultur. Stars wie Smokey Robinson, Stevie Wonder, Diana Ross oder Michael Jackson begannen ihre musikalische Karriere bei Motown, und ihre musikalischen Einflüsse prägen bis heute die Popmusik. Trotz des Civil Rights Act von 1964 erfuhren Motowns Künstler*innen alltäglich Rassismus bei ihren Konzerten in den USA. Auf der Bühne wurde ihnen applaudiert, in Restaurants jedoch die Bedienung verweigert. In einigen Städten im Süden des Landes spielten sie zu jener Zeit zwei Shows pro Abend – eine für das weiße und eine für das schwarze Publikum. Auf den ersten Plattencovern von Motown gab es auch keine Bilder der Musiker*innen. Afroamerikanische Popkultur wurde dennoch erfolgreich durch die Musik verbreitet und erreicht auch heute noch Menschen jeder Herkunft auf der ganzen Welt.

Auf Netflix wird derzeit die Kinderserie Magie in Motown gezeigt – hier werden legendäre Motown-Songs farbenfroh leuchtend zum Leben erweckt. Unser Tipp: Tanzt mit alt und jung zu den Motown-Songs, und ihr spürt, music is love.

1964 erhielt die gesamte Bevölkerung in den USA, ungeachtet ihrer Hautfarbe, im Civil Rights Act endlich die gleichen Rechte. Auch wurde Martin Luther King in jenem Jahr der Friedensnobelpreis verliehen. Dennoch gab es vielerorts weiterhin massiven Alltagsrassismus. Die Schwarze Bürgerrechtsbewegung und die Studentenproteste gewannen daher Mitte der sechziger Jahre an Einfluss. Für viele Musiker*innen war in jener Zeit die Haltung Motowns, unpolitische Songs für jedermann zu veröffentlichen, nicht mehr nachvollziehbar. Die Songtexte vieler afroamerikanischer Musiker*innen wurden politischer. Die Worte von Schriftsteller*innen und Dichter*innen flossen in die Musik ein.
Black Poetry Künstler:innen schrieben eindrucksvolle Texte und Gedichte aus der Perspektive der BIPoC-Bevölkerung in den USA, sie prangerten Rassismus an und erinnerten an die Wurzeln afroamerikanischer Kultur.

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Eine der bekanntesten Stimmen ist der Dichter und Schriftsteller Langston Hughes. Er gehörte in den dreißiger Jahren der afroamerikanischen Künstler:innenbewegung Harlem Renaissance an. Da Hughes wie auch Abraham Lincoln und Fredrick Douglass im Monat Februar geboren wurde und alle drei mutig ihre Stimmen gegen Sklaverei und Rassismus erhoben, wird durch die Initiative von Carter G. Woodson seit 1926 jedes Jahr im Februar in den USA und Kanada der Black History Month gefeiert. In diesem Monat wird im Rahmen verschiedener Veranstaltungen auf den Beitrag von Afroamerikaner*innen zur Geschichte ihres Landes aufmerksam gemacht.
Insbesondere Hughes‘ Gedicht I, Too, in dem er schreibt i, too, sing america. … i, too, am america, wurde zur Ikone der Bürgerrechtsbewegung, ebenso Refugee in America:

Verfolgter in Amerika
(von Langston Hughes)

worte gibt es wie freiheit
süß und wunderbar im mund.
freiheit singt in meinem herzen
jeden tag und jede stund.

worte gibt es wie freiheit
die bringen mich fast um.
wüßtest du, was ich erlebt hab,
dann wüßtest du warum.

(Übersetzung aus „Langston Hughes – Gedichte“
herausgegeben von Eva Hesse und Paridam von Knesebeck, Verlag Langewiesche-Brandt, Ebenhausen bei München, 1960)

 
Ein Beispiel für die Vertonung eines Gedichtes von Langston Hughes ist die eindrucksvolle Version von The Negro Speaks of Rivers des Jazzmusikers Gary Bartz aus dem Jahr 1973.

Für Kinder ist 2017 das wunderschöne Bilderbuch That Is My Dream! bei Schwartz & Wade in New York erschienen. Daniel Miyares illustrietrte Langston Hughes Traum von einer Welt ohne Diskriminierung und rassistischer Vorurteile brilliant in großformatigen Bildern. Die zeitlose Botschaft von Stolz, Freude und dem Traum eines besseren Lebens erstrahlt auf jeder Seite des Buches in wunderschönen Farben.

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Das Leben einer afroamerikanischen Frau in den sechziger Jahren in einer Stadt wie Baltimore beschreibt die Dichterin Wanda Robinson. Sie vertonte mit dem Harlem Soul Trio ihre Texte und veröffentlichte 1971 auf dem New Yorker Label Perception ihr Debut-Album Black Ivory; 1973 folgte ihr zweites Album Me and a Friend. Wanda Robinson schrieb einmal everybody has a story to tell, yet nobody listens„. Dank ihrer Aufnahmen und den Texten, die sie später unter dem Namen Laina Mataka veröffentlichte, können wir ihr heute noch zuhören.
Auch Marvin Gaye, Nina Simone, Amanda Gorman, Angie Thomas und vielen, vielen weitere afroamerikanische Stimmen können und müssen wir zuhören.

LittlePeople_01In der Reihe Little People, BIG DREAMS aus dem Insel-Verlag sind für Kinder beeindruckende Lebensgeschichten erschienen, einige Bücher dieser Reihe widmen sich der afroamerikanischen Kultur und der Bürgerrechtsbewegung in den USA:
So gibt es zum Beispiel ein Buch über Maya Angelou, die eine wichtige Autorin und Stimme der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung war. Sie unterstützte den Bürgerrechtsaktivisten Malcom X und Martin Luther King.

Auch über Martin Luther King  ist in dieser Reihe ein Buch erschienen, in dem die Leser*innen etwas über seinen Traum von Gerechtigkeit für alle Menschen ohne Gewalt und seinen Glauben an die Kraft der Worte erfahren.
Der Bürgerrechtsikone Rosa Parks ist ebenfalls ein Buch gewidmet. Sie hatte sich 1955 während einer Busfahrt geweigert, nach Aufforderung eines weißen Fahrgastes von ihrem Platz aufzustehen. Sie wurde dafür vor Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt. Martin Luther King organisierte als Antwort darauf einen Boykott, der die Behörden letztendlich zwang, die Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln aufzuheben.

Blog_MusikPoesie_04Die Leser*innen erfahren in einem weiteren Buch über Ella Fitzgerald, wie sie ihren Traum verwirklichen konnte und eine weltberühmte Jazzsängerin wurde.
Mit den großartigen und detailreichen Illustrationen verschiedener Künstler*innen sind die Bücher der Reihe Little People, BIG DREAMS bereits für kleine Kinder geeignet. Älteren Kindern wird darüber hinaus durch die Texte von María Isabel Sánchez Vegara ein Verständnis für die Bedeutung der besonderen Geschichten im zeitlichen Kontext vermittelt.
Die ZEIT-Edition hat aus dieser Reihe sechs Bilderbücher über bedeutende Frauen (u. a. Ella Fitzgerald) ausgewählt und in einem wunderschönen Schuber herausgegeben.

Auch Josepine Baker unterstützte die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung. Die berühmte Tänzerin kämpfte ihr Leben lang gegen Apartheit und Rassismus. Mit zwölf Adoptivkindern verschiedener Herkunft gründete sie ihre Regenbogenfamilie. Als Kinderbuch ist ihre Biographie Josepine – Das schillernde Leben von Josephine Baker bei Seemann-Henschel erschienen. Geschrieben wurde das Buch von Patricia Hruby Powell, die selbst als Tänzerin in Amerika und Europa gastierte. Als Geschichtenerzählerin in Schulen entdeckte sie, dass Josephine ein Vorbild für Kinder darstellt. Die Illustrationen voller Farbkraft stammen von Christian Robinson, der bereits für die Pixar Studios und den Sesame Street Workshop arbeitete.

 

Und noch ein Tipp für die Großen:

Blog_MusikPoesie _01Wunderbar illustriert ist 2009 pünktlich zum 50-jährigen Jubiläum das Buch The Soul of Motown – Eine Labelgeschichte in 15 Songs bei Edel Books erschienen. Der Autor Torsten Gross wählte 15 prägende Songs aus der Labelgeschichte und erzählt im zeitlichen Kontext mit spannenden Erinnerungen der Künstler*innen und charmanten Anekdoten auf eine persönliche Art die Geschichte von Motown. Die großartigen, kraftvollen Illustrationen von Alexandra Kardinar und Volker Schlecht geben den 15 Geschichten ein starkes Gesicht voller Ausdruck und fügen sie zu der legendären Geschichte von Motown zusammen. Das Buch ist derzeit nur antiquarisch erhältlich.

Im letzten Jahr haben wir den Black History Month zum Anlass genommen und eine Auswahl verschiedener Buchtitel von Schwarzen Autor*innen und Büchern mit Schwarzen Protagonist*innen zusammengestellt. Diese Listen können hier auf unserer Seite unter dem Menüpunkt „Literarurlisten“ eingesehen und heruntergeladen werden.

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