Interview mit Lena Winkel

Im vergangenen Sommersemester fand an der Universität Hamburg im Rahmen der Einführung in die Fachdidaktik Deutsch ein Seminar mit dem Titel Bilderbücher vorlesen und bearbeiten in Kooperation mit den Kinderbuchhaus statt.

Bildschirmfoto 2020-11-11 um 17.13.38Eigentlich hätten die Studierenden zu uns ins Kinderbuchhaus kommen sollen, um mit dem Buch Komm bald wieder von Andreas Greve und Lena Winkel sowie mit Kindern der Fridtjof-Nansen-Schule in Lurup eine Vorlesesituation umzusetzen und zu bewerten.
Doch dann kam der erste Lockdown, und die Verlegung der Seminare und des Schulunterrichts in den digitalen Raum machte diese praktische Übung unmöglich.

Dennoch sollte das Seminar nicht ganz ohne Praxis-Einblicke bleiben.
Die Studierenden erhielten die Gelegenheit, die erste digitale Lesung des Kinderbuchhauses anzusehen und zu analysieren. Außerdem berichtete Hannah Otto ihnen in einer Videokonferenz von ihrer Arbeit im Kinderbuchhaus und stand ihnen Rede und Antwort. Und nicht zuletzt sendeten die Studierenden einen Fragenkatalog an die Illustratorin Lena Winkel und den Autoren Andreas Greve, welchen die beide schriftlich beantworteten.

Unten findet ihr Lenas Antworten auf alle Fragen rund um ihre Arbeit und die Entstehungsgeschichte.
Andreas‘ Antworten findet ihr in der kommenden Woche hier auf unserem Blog.

Woher kam Ihre bildliche Vorstellung der tierischen Gestalten von Hubert und Huschel?

0782_Winkel_Vergessen_Cover.inddGanz zu anfangs kam vom Verlag der Hinweis, dass sie sich durchaus tierliche Charaktere in einer menschlichen Welt vorstellen könnten, um eine Alterszuschreibung zu vermeiden. (Dazu unten mehr!) Von da an habe ich jede Menge Skizzen gemacht und herum überlegt, was für Tiere es denn sein könnten. Ganz zu anfangs waren es mal zwei Echsen, ein Wolf und eine Echse und sogar eine Skizze von einem Walross und einer Möwe habe ich kürzlich wiedergefunden. Ich habe auch eine Liste gemacht mit den Charakteristika der beiden (Hubert neurotisch-berechnend, Huschl verspielt, agil und teils etwas kopflos) und überlegt, wie ich im Design auf ihre jeweiligen Grundkonflikte eingehen kann.
Nach und nach (und nicht ganz unbeeinflusst davon, mit was für Kuscheltieren / Tierfiguren ich mich in einem Raum – auch digitalem Raum – befand beim Grübeln) haben sie dann beide ihre Formen gefunden.
Der Verlag hatte natürlich auch noch ein Wörtchen mitzureden; zum Beispiel war Huschl in den ersten Entwürfen noch wesentlich kleiner (passte locker auf Huberts lange Nase) und hatte auch noch keine Tasche.

Bleiben Sie immer bei Ihren anfänglichen bildlichen Vorstellungsbildern oder verändern sich Ihre Bildideen im Laufe des Arbeitsprozesses?

Der Skizzenprozess ist sicherlich sehr fließend, wobei ich bei manchen Szenen / Charakteren ganz klare Vorstellungen habe, die sich nicht mehr ändern, und bei anderen nicht, die ich mir dann stückweise erzeichnen und erdenken muss. Wenn das Storyboard dann allerdings steht, halte ich mich auch meistens daran. Es sei denn, in der Ausarbeitung will es dann doch gar nicht funktionieren. Kleinere Sachen kann man (Dank digitaler Arbeitsweise) allerdings immer noch ändern. In Haben wir auch nichts vergessen? haben wir zum Beispiel noch ziemlich viele Gegenstände herumgeschoben, weil die teilweise (psst!) ein bisschen zu offensichtlich ihre Position verändert haben von einer Seite zur nächsten.

Wie lange arbeiten Sie im Durchschnitt an einer Buchillustration?

Das Zeichnen selbst geht eigentlich relativ flott, länger dauert das Kolorieren und das Herumdrehen an den Farbreglern in Photoshop. Auch das Vorskizzieren kann sich mal ziehen, wenn die Szene komplizierter ist oder ich nicht so schnell auf eine Lösung komme und eine Szene mehrfach aus allen möglichen Blickwinkeln zeichne. Hinzu kommt dann auch immer das digitale Verpacken und Verschicken. Insgesamt sicherlich mindestens eine Woche für eine Bilderbuch-Doppelseite, auch wenn das stark variieren kann, je nachdem, wie (un)zufrieden ich bin.

Wann setzen Sie eine schwarz-weiße Bildsprache ein und wann eine farbige Bildsituation?

Hm, in den Bilderbüchern kommen ja eigentlich keine SW-Bilder vor, oder meinen Sie damit die Freisteller?
Freisteller nutze ich meistens, wenn ich das Augenmerk auf die Körpersprache lenken möchte und/oder eine Abwechslung für notwendig halte. V.a. wenn sich Charaktere über mehrere Szenen hinweg nicht bewegen, kann das mehrfache Zeigen desselben Hintergrundes eher verwirren oder nerven. Und auch ein rein weißer Hintergrund kann manchmal viel aussagen.
Ansonsten hängt die Frage „SW oder Farbe?“ meistens vom Budget ab. Kinderbücher zum Beispiel sind innen oft „nur“ in Schwarzweiß gehalten, weil er Vierfarbendruck teurer ist und natürlich auch zeitaufwendiger für den*die Illustrator*in.

Überlegen Sie sich das Seitenlayout mit Bild- und Textanordnung?

Jawohl, den Text denke ich immer gleich mit, wobei ich ihn zumindest bei Atlantis nicht selber setze, das macht dann ein Designer vom Verlag – der dann auch oft nochmal eigene Vorstellungen zur Textverteilung hat… 😉

Wo illustrieren Sie die Bilder? Holen Sie sich draußen vor Ort Anregungen und Informationen oder am Schreibtisch?

Beides – für Komm bald wieder bin ich auch mal nach Flensburg gefahren und habe viele Fotos und Skizzen von Bootskränen und Ufervegetation gemacht. Für Haben wir auch nichts vergessen? „reichte“ es dann, ein paar Mal um die Alster zu spazieren. Aber die meiste Zeit recherchiere ich dann doch am Schreibtisch, also im Netz.

Entsteht immer erst der Text, der von Ihnen gestalterisch in Bildsprache umgesetzt wird oder gibt es auch den umgekehrten Weg? Also erst die Bilder und anschließend der Text? Lassen Sie auch zu Ihren Bildern eine Geschichte schreiben?

Bildschirmfoto 2020-11-11 um 17.18.24In der klassischen Auftragssituation steht der Text nach wie vor zuerst. Aber wenn es die Zeit zulässt, kann es da durchaus zu Wechselwirkungen kommen. Jan von der Bank, für den ich von 2014-18 die Pikkofinte-Bücher illustriert habe, hat zum Beispiel im zweiten und dritten Band immer wieder Tiere (und sogar mal einen Drachen) eingebaut, weil er genau wusste, dass ich die gerne zeichne. Im Falle des Bilderbuches kann es sein, dass ich zum Beispiel etwas zeichne, was im Text nicht vorkommt, oder etwas weglasse, das vorkommt. Das kann dann wieder Auswirkungen auf den Lektoratsprozess haben, weil sich dadurch vielleicht Textkürzungen oder -ergänzungen ergeben – je nachdem, was die Geschichte „braucht“.

Was passiert, wenn ihnen mal keinerlei Ideen zur gestalterischen Umsetzung des Textes kommen? Holen Sie sich Hilfe von Ihren Freunden/ Familien/ Bekannten?

Durchaus – besonders, wenn ich nichts mehr „sehe“/ zu lange auf eine Illu gestarrt habe, werden meine Freund*innen gerne mal mit Storyboardentwürfen oder fertigen (?) Bildern beehrt. Da ich auch noch studiere (Master Illustration an der HAW) hole ich mir ab und zu auch noch die Meinung der dortigen Profs ein, zum Beispiel die von Prof. Bernd Mölck-Tassel, der auch meinen Bachelor betreut hat.

Sind sich TextautorIn und Illustrator:in im Entstehungsprozess eines Bilderbuchs immer einig? Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Auffassungen um?

Sicher nicht, aber wir sind beide kompromissbereit! Wenn wir ganz unschlüssig sind, gibt es ja auch noch den Verlag, der ein Machtwort sprechen kann…

Wie kann man gut mit unterschiedlichen Vorstellungen der Bild- und Textkorrespondenz umgehen?

Sehr viel zusammen überlegen und weiter skizzieren, bis es für alle, Illustratorin, Autor, Verlag, einigermaßen „klickt“. Aber meistens funktioniert es ganz gut und meine bisherigen Lektorinnen hatten sowieso ein tolles Gespür dafür, was man der Geschichte zumuten kann und was allzu quatschiger Ballast ist. Zudem bringt Andreas, der ja auch selbst schon illustriert hat, schon sehr viel Bildverständnis und Empathie für Illustrations-Nöte mit, was natürlich enorm hilfreich ist.
Meistens versuchen wir, den Grundmotiven der Geschichte nachzuspüren, und darauf aufbauend für oder gegen bestimmte Vorschläge zu argumentieren. Ich habe das Gefühl, dass durch diese gemeinsame Basis, so ein grundlegend ökonomisch gedachtes Text-/Bildverständnis, schon viel gewonnen ist. Das klingt nun sehr verkopft: Natürlich ist auch Bauchgefühl erlaubt.

Wie lange dauert es, bis ein Buch ganz fertig ist? Wird nach der Idee zur Geschichte (Plot) zuerst illustriert und der Text daran angepasst oder umgekehrt?

Von der Anfrage bis zum Druck sicherlich mindestens ein Jahr, je nachdem, für wann die Veröffentlichung geplant ist! I.d.R. gibt es eine frühe Vollversion vom Text, die sich aber, auch je nachdem, was die Illustrationen dann noch veranstalten und fordern, durchaus noch ändern kann. Bisher war es so, dass parallel zu meiner Illustrationsarbeit Andreas und der Verlag auch noch weiter am Text gefeilt haben. Grundlegende Veränderungen gibt es dann aber meistens nicht mehr (glücklicherweise, denn eine Szenen-Änderung kann eine ganze Buchkonzeption durcheinanderwirbeln).

Welchen Grund hat es, dass die fiktiven Figuren Hubert und Huschel unbekannte „Kreaturen“ in einer uns bekannten Welt sind?

Das ist eine sehr spannende Frage. Oben hatte ich ja schon erwähnt, dass ganz zu Anfangs vom Verlag der Vorschlag kam, tierliche Figuren zu verwenden, um eine Alterszuschreibung zu vermeiden und somit ein wenig „rechtfertigen“ zu können, dass die beiden Charaktere auch mal in einer unkindliche, eher erwachsene Sprechweise verfallen – und natürlich, dass die beiden in einer alten Laube leben und von dort aus Menschen beobachten… (was man Menschenkindern nicht so direkt abgekauft hätte, eventuell).
Das Character Design für die beiden Hauptfiguren entsprang letztendlich einem eher intuitiven Prozess, dennoch habe ich im Nachhinein in meinem Bachelor aus tiertheoretischer Perspektive die Frage untersucht, warum ich mich da denn eigentlich genau für tierliche Charaktere entschieden habe, wie der Zusammenhang zu anderen „Kreaturen“ im Kinderbuchbereich ist, welche (metaphorische) Funktion ihre Gestaltung erfüllt, ob dies noch in irgendeinem Zusammenhang mit echten Tieren steht und ob das wiederum irgendetwas über das Tier-Mensch-Verhältnis, wie es im zeitgenössischen Bilderbuch konstruiert wird, aussagen kann. Eine gekürzte Version meines Bachelors ist dann auch in der 17. Ausgabe der Tierstudien erschienen:

Welches ist Ihr Lieblingsbilderbuch (allgemein und von Ihren eigenen)?

Ohweh! Es gibt doch so viele wunderbare…Luftpiraten_Cover
Aktuell und vor allem auf konzeptueller Ebene mag ich They all saw a cat/Alle sehen eine Katze von Brendan Wenzel sehr gerne.
Stilistisch bin ich ein großer Fan von Øyvind Torseter (Das Loch u.a.).
Von meinen eigenen mag ich tatsächlich gerade Haben wir auch nichts vergessen? am liebsten (irgendwie hat es eine Schnoddrigkeit, die mir sehr behagt) und die Luftpiraten, ein Kinderbuch, das ich letztes Jahr für Markus Orths illustrieren durfte.

Wie (mit welchen Methoden) würden Sie Ihre Bilderbücher mit einer Zielgruppe bearbeiten und nachbereiten?

In bisherigen Aufbereitungen (wie unserer Lesung auf YouTube) haben wir – bzw. vor allem Andreas, denn als Zeichnerin halte ich mich eher im Hintergrund oder gestalte den Rahmen oder irgendwelche Arbeitsblätter – das Augenmerk auf die Gefühlslage der Charaktere gelenkt: Wer fühlt sich wann wie, warum, und wie reagiert der andere darauf?
Wollte man konkreter auf Bildebene weiterarbeiten, zum Beispiel im Bereich Character Design im Kunstunterricht, würde ich eventuell so vorgehen: Was machen Hubert und Huschl außerhalb des Buches? (Eventuell mithilfe des Vorsatzpapiers in Band 1). Haben sie eventuell Familien? Oder noch andere Freunde? Wie sehen die aus? Woher kommt eigentlich Huschl? Huschl macht dieses und jenes – wie reagiert Hubert darauf, was glaubt ihr? Also als eine Art spielerisches World Building, um grundlegende Überlegungen zu Character Design und Narration zu vermitteln (a la Lynda Barry).
Ich kann aber leider mangels Erprobung gar nicht einschätzen, wie und ob das angenommen werden würde.

Welches sind Ihrer Meinung nach Kriterien für ein gutes Bilderbuch/einen guten Bilderbuchtext/eine gute Bilderbuchillustration?

Ein guter Text gibt den Illustrationen Raum zum Atmen, ohne beliebig zu sein – das kann Andreas zum Beispiel wunderbar – und eine gute Illustration verrät dem*der Leser*in Dinge, die im Text vielleicht nur versteckt sind, kann repräsentative Funktionen übernehmen oder Widersprüche ironisch aufgreifen. Oder zeigt mögliche Zusammenhänge auf, die im Text eventuell gar nicht vorkommen. Daher finde ich den Dialog zwischen Autor*in und Illustrator*in auch sehr wichtig, denn der hilft dann wieder dem*der Illustrator*in beim Textverständnis.
Das bedeutet gleichzeitig, dass Dogmen auch behindern können. Ich glaube, jeder Text fordert andere bildliche Nuancen, teilweise auch andere Stile, und Text und Bild können sich auf tausenderlei Weisen gegenseitig informieren.
Was ich allerdings persönlich unabdinglich finde (wollte man nun eine „normative Dimension“ neben dieser Offenheit im künstlerischen Prozess auftun), ist, immer auch Fragen der Repräsentation mitzudenken (beim Machen wie beim selber Lesen/Schauen): Wenn Tiere so und so dargestellt sind, warum ist das so? War das eine bewusste Entscheidung? Kommen eventuell nur männliche Hauptpersonen vor? Kommen nur weiße Menschen vor? Könnte man das ändern? Fast immer lautet die Antwort: Ja. Da sehe ich bei mir definitiv auch noch viel Luft nach oben. Auch, wenn das Bilderbuchmachen viel mit Fantasie und Intuition und Spiel zu tun hat und kreatives Schaffen sehr chaotisch ablaufen kann, ist und bleibt die Zielgrupppe eben (meistens) eine sehr junge, und damit einher geht, so denke ich, moralische Verantwortung. (Natürlich kann man nie genau wissen, wie es letztendlich „ankommt“ – aber man kann seine Hausaufgaben machen, Text und Bild nochmal auf Stereotypen durchforsten, sich generell in Reflektion üben.)

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