Das Kinderbuchhaus zu Gast im Warschauer Goethe-Institut

von Dr. Dagmar Gausmann

13.06.2018, Warszawa, Instytut Goethego. Fot. Adam Burakowski

Über eine Internetrecherche wurde Markus Kedziora auf das Kinderbuchhaus im Altonaer Museum aufmerksam. Unser Haus und unsere Arbeit erschienen ihm sehr passend für den ersten Deutsch-Polnischen Kinderbuchsalon, den er im Warschauer Goethe-Institut organisierte. Das Motto unserer Kinderbuchtage „begegnen, diskutieren, selber machen, vernetzen“ wurde so auch das Motto für diesen ersten Salon in Warschau! In der Tat konnte ich während der beiden wunderbaren Tage, die ich auf Einladung von Markus Kedziora in Warschau und im Goethe Institut verbrachte, vielen Menschen begegnen und das Kinderbuchhausnetz weiterknüpfen.

13.06.2018, Warszawa, Instytut Goethego. Fot. Adam BurakowskiAm ersten Tag durften Frank Kühne vom Carlsen Verlag, Jule Pfeiffer-Spiekermann mit ihrem wunderbaren Pinselfisch-Projekt und ich selbst für das Kinderbuchhaus einige Einblicke in die deutsche Kinderbuchszene geben. Ein großer, ökonomisch so erfolgreicher Kinderbuchverlag wie der Carlsen Verlag, der sein Programm auch wissenschaftlich gestützt auf die junge Leserschaft ausrichtet, eine in aller Welt erprobte Buchkünstlerin und Vermittlerin wie Jule Pfeiffer-Spiekermann von Pinselfisch und eine Institution wie das Kinderbuchhaus, das von der gut vernetzten Kinderbuchszene in Hamburg lebt und dazu ein ambitioniertes Ausstellungsprogramm anbieten kann, boten sicher einen facettenreichen Einblick in die deutschsprachige Kinderbuchszene. Alle drei IMG_7130Beiträge einte die Einsicht, welcher Wert heute auch auf die Bildlesekompetenz gelegt werden muss, wenn man von Leseförderung spricht. Besonders spannend wurde es dann für uns deutsche Gäste, als Katarzyna Domanska mit unglaublicher Emphase und Energie vom grandiosen Verlag Dwie Siostry (Zwei Schwestern) dessen Programm, Erfolgsgeschichte und  herausragende, phantasievolle Engagement aller dort Beschäftigten vorstellte. Insbesondere durch den deutschen Moritz Verlag sind die Publikumsrenner „Alle Welt“ (Mapy) von Aleksandra und Daniel Mizielinscy und „Bienen“ von Piotr Socha auch hierzulande bekannt geworden. In diesem Jahr erscheinen in diesem kleinen Verlag 34 Neuerscheinungen! Unglaublich beeindruckend, und es wurde deutlich, wo wir da eigentlich zu Gast sind: in einem Land nämlich mit großer Buch- und vor allem auch Illustrationstradition!

IMG_0080Dass diese Tradition dennoch gestärkt und gefördert werden muss, soll sie nicht an ökonomischen Problemen scheitern, das machte auf fast traurige Weise dann Ewa Woznicka von der Buchhandlung Mala Buka deutlich. Diese engagierte Buchhandlung dient in einem großen, sozial eher schwachen Viertel Warschaus als Anlaufstelle für Kinder, die begeistert all die Leseförderangebote annahmen, die die Mitarbeiterinnen der Buchhandlung sich einfallen ließen. Auch Eltern waren froh, ihre Kinder so gut „betreut“ zu wissen. Dass man dort allerdings auch Bücher kaufen kann und sollte, das wurde immer mehr vergessen. Wenn überhaupt, dann kaufte die Klientel der Buchhandlung nicht dort, sondern beim günstigsten Anbieter oftmals über das Internet. In Polen gibt es keine Buchpreisbindung. Immer mehr Buchhandlungen schließen oder geraten in wirtschaftliche Bedrängnis, wie auch Grazyna Szarszewska von der polnischen Buchkammer, die die Veranstaltungen moderierte, eindringlich schilderte. Trotz einer stetig wachsenden Anzahl von funktionalen Analphabeten in Polen, ist aber die Regierung nicht bereit, die Basis für eine tragfähige Leseförderung zu schaffen, zu der eben auch die Buchpreisbindung gehört. Für Mala Buka bedeutet das das Aus. Zum Juli schließt dieses schon fast Stadtteilzentrum zu nennende Unternehmen die Türen für immer.

IMG_9994Der zweite Tag widmete sich dann der praktischen Arbeit. Jule Pfeiffer-Spiekermann, Agata Dudek und Malgorzata Nowak arbeiteten im Goethe-Institut mit eingeladenen polnischen Schulklassen. Auch das ein großes Vergnügen!

Es war ein Salon-Auftakt voller neuer Einsichten in die mir bisher unbekannte aktuelle Verlags- und Kinderbuchszene Polens. Alles wurde hervorragend organisiert und betreut durch Markus Kedziora und sein Team mit Jagoda Perska und Hanna Krogulska.

Für mich gab es dann kein Halten mehr: Laufen, so lange die Füße tragen! Warschau ist eine so vitale, spannende Stadt, für die die beiden Tage längst nicht ausreichten. Dennoch habe ich vieles, auch die deutlichen Spuren gesehen und erlaufen, die Antisemitismus, Vernichtung der polnischen Juden und die Bomben des Zweiten Weltkrieges hinterlassen haben. Es ist noch immer kaum zu fassen, wie groß das Leid und die Zerstörung waren, die durch die Deutschen angerichtet wurden. Heute ist Warschau eine brodelnde Metropole mit spannenden Gegensätzen, irritierenden Brüchen, voller Cafes und Restaurants, die immer voll zu sein scheinen. Eine auf dem Boden der Tradition sich stets neu erfindende Stadt. Ich habe viel gestaunt und gelernt und werde sicher wiederkommen.

© Fotos 1 und 2 von Adam Burakowski, Goethe Institut Warschau
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