11. Hamburger Kinderbuchtage 2022

von Julika Singer

Im Rahmen der 11. Hamburger Kinderbuchtage kamen Teilnehmer*innen aus Hamburg, verschiedenen deutschen Städten und sogar aus Österreich zu uns ins Kinderbuchhaus, um sich untereinander zu vernetzen und an Vorträgen, Werkstattgesprächen und Workshops von Bilderbuchprofis teilzunehmen. Unter ihnen Verlagsmitarbeiter*innen, Bibliothekar*innen, Kunstpädagog*innen, Erzieher*innen, Illustrator*innen, Autor*innen – allen gemein: die Begeisterung fürs Kinderbuch. Über die beiden Tage hinweg wurden auch in den Pausen und nach der Veranstaltung viele neue Bande geknüpft, die Gruppendynamik war sehr positiv.

Durch die beiden Weiterbildungstage führte uns diesmal unsere langjährige Wegbegleiterin, Illustratorin und Kunstpädagogin Lena Hällmayer, mit einer klugen und sehr präsenten Moderation voller Esprit und Lachen. Als Kunstpädagogin verstand es Lena Hällmayer die Gruppe durch zahlreiche kleine praktische Übungen, wie interaktive Kennenlernübungen, kreative Happenings mit Büchern und viele interessante Diskussionen anzuregen und zu inspirieren.

Highlight reihte sich an Highlight.

Die Hamburger Kinderbuchautorin Stefanie Taschinski las nicht nur aus ihrem brandneuen (im Juli erscheinenden) Buch „Der geniale Herr Kreideweiß“, sondern gab auch persönliche Einblicke in ihren Werdegang als Kinderbuchautorin. In den einfachen Verhältnissen ihrer Kindheit im Hamburger Stadtteil Jenfeld mag auch das besondere soziale Anliegen begründet sein, das ihrer gesamten Arbeit zugrunde liegt. So engagiert sich die Autorin neben dem Schreiben von Kinderbüchern voller Herzblut als Schreibcoach für das Projekt „Schulhausroman“ in Kooperation mit dem Literaturhaus Hamburg. Anschaulich schilderte sie, wie in den verschlossenen, hoffnungslosen jungen Menschen durch den Erfolg der veröffentlichten Schulhausromane und die Entdeckung der eigenen Kreativität/des eigenen Könnens ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Selbstvertrauen entsteht. Die Teilnehmer*innen hatten die Möglichkeit sich mit der Autorin in einem angeregten Gespräch auszutauschen.

In Lena Hällmayers Präsentation und praktischer Werkstatt zum Thema „Gender und Diversität im Kinderbuch“ konnten die Teilnehmer*innen ihre eigenen Klischees aufdecken und hinterfragen. In ihrer anschaulichen, mit eigenen Illustrationen gestalteten Präsentation zeigte sie auf, dass das Medium Bilderbuch eine Schlüsselrolle spielt bei der Vermittlung und Festigung von Genderbildern und Stereotypen über andere Kulturen und Ethnien. Ein lebhaftes Gespräch mit der Gruppe kam in Gang. Aufschlussreich und amüsant war etwa eine Schnellzeichen-Übung mit den Aufträgen: „Malt einen Menschen mit Superkräften beim Einkaufen!“, „Eine Person im superengen Kleid und Absatzschuhen!“, „Eine Person mit Schirm und Gehilfe!“ – unter Zeitdruck gingen die Schubladen besonders leicht auf, aber einige originelle Interpretationen konnten auch bewundert werden. Anschließend wurde in Gruppenarbeit (drei Gruppen, die rotierten) über Diversität diskutiert: Die entstandenen Schnellskizzen wurden sortiert und auf Klischees untersucht, ein Gruppenkunstwerk mit möglichst diversen Lebewesen entstand in Tusche auf einem großen Papier und in der dritten Gruppe wurde über Diversität in geschriebenen Worten nachgedacht, woraus eine gemeinschaftliche Mind-Map entstand. Im lebhaften Abschlussgespräch zeigte sich, wie relevant das Thema ist.

Passend zu Lena Hällmayers Workshop sprach Frank Kühne, Programmleiter des Carlsen-Verlages, im Anschluss über die neueren Entwicklungen und die Integration des Diversität-Diskurses in den Publikationen und der allgemeinen Verlagsentwicklung der letzten Jahre. Als Leseförderer betonte Frank Kühn, dass die Kulturtechnik LESEN gelernt werden müsse. Vom Bild ohne Worte zum Wort ohne Bilder. Am Anfang stehen also die Bilder im Zentrum. Wir lernen über sie Sprache, Lesen, aber auch Klischees, Stereotype. Frank Kühne ist der Überzeugung, dass die Bilderbuchlandschaft seit einigen Jahren dabei ist, sich grundlegend und nachhaltig in Richtung Vielfalt zu verändern und dass Bilderbücher, die heute publiziert werden, die Gesellschaft wie sie tatsächlich ist, auch abbilden. Dafür brauche man keine „Aushängeschild-Bücher“ mehr, vielmehr ist gesellschaftliche Diversität selbstverständlicher integraler Bestandteil der Bilderbücher. Sein Tenor: Als Verlagsmensch muss man das Thema heute mitdenken, sonst ist man nicht mehr wettbewerbsfähig, und das ist gut so. Unvermeidlich kamen die Teilnehmer*innen auch auf „Conny“ zu sprechen: Ein weißes, Mittelstands-Mädchen in einer vermeintlich durchschnittlichen Familie in Deutschland. Gibt es eine ähnlich erfolgreiche, geliebte Figur / Reihe, die die Realität besser abbildet?

„Vom Zauber des Zufalls – Bilderrausch „Überm Wind“: Die vielfach ausgezeichnete Illustratorin Stefanie Harjes ließ die Teilnehmerinnen an ihrem kreativen Arbeitsprozess als Illustratorin teilhaben und zog alle mit ihren surrealistisch-assoziativen Kunstwerken in den Bann. In ihrer Powerpoint-Präsentation zeigte sie sowohl Arbeitsmaterial, Atelier und Schaffensprozess, als auch die Ergebnisse ihrer künstlerischen Arbeit: Illustrationen aus „Kafka“, „Ein Literatur Lesebuch“, „Eine Blattlaus wandert aus“, „Warum ist Rosa kein Wind“ etc. Der illustrierte Text erlangt in ihren Illustrationen eine eigene Gestalt, die aus dem Unbewussten und Traumhaften gestiegen zu sein scheint. Die Bilder bestehen als eigenständiges Kunstwerk neben dem Text und sind doch eng verwoben mit ihm. Stefanie Harjes schilderte, wie sie in ihrem gesamten Alltag stets für visuelle und philosophische Eindrücke versucht offen zu bleiben, sowohl bei Spaziergängen durch die Natur als auch bei Einkäufen, Reisen, etc. Ein offenes, kindliches Wahrnehmungsvermögen, nicht aufhören über die Welt zu staunen, spielerisch bleiben – das seien die Schlüssel für ihre Schaffenskraft. Visuell interessante Motive, Strukturen, Schriftzüge aus unterschiedlichsten Kontexten (Verpackungsmaterial, alte Stiche, Naturmaterial, etc.) werden gesammelt und neu organisiert. Beim Erschaffen ihrer Kunstwerke versucht sie den Kopf und die Gedanken verstummen zu lassen bis „es sich selbst malt“, also ein „Flow-Zustand“ erreicht wird. Gespickt mit persönlichen Anekdoten aus ihrer Schulzeit und ihrem Arbeitsleben als Dozentin und Künstlerin gab dieses Werkstattgespräch den Teilnehmer*innen einen authentischen Einblick in die Arbeit der Illustratorin. Mit ihrer herzlichen Art steckte sie die Teilnehmer*innen mit ihrer Begeisterung für die Kunst regelrecht an, und als sich die weiterBilden-Gruppe dann bei der anschließenden Werkstatt selbst ans eigene kreative Tun machte, entstand auf einer 5 Meter Rolle Papier ein buchstäblich „großartiges“ Gemeinschaftswerk. Es malte sich fast von selbst…

Das beeindruckende Engagement für Kinder und die kreative Kulturarbeit des Kinderbuchladens KRUMULUS sorgte für großen Applaus und der Vortrag Anna Morlinghaus, Gründerin und Inhaberin von Krumulus, ließ die Funken ihrer eigenen Begeisterung auf die weiterBilden-Gruppe förmlich überspringen. Krumulus ist nicht nur eine Buchhandlung, es ist auch eine Galerie mit Originalen aus Kinderbüchern, Werkstatt mit Workshops für Groß und Klein (vor allem Druckwerkstätten) und Veranstaltungsraum/Vorlesesalon für Theaterstücke, Musikkurse, Erzählstunden, Buchclubtreffen. Die Homepage enthält unter anderem übersichtlich kategorisierte, ausführliche Rezensionen zu ausgewählten Kinderbüchern. Und eine Postkarten-Edition gibt es auch.
Als Erfolgsrezept für ihr unfassbares Programm, das die vier (!) Mitarbeiter*innen von Krumulus stemmen, nannte die Unternehmerin: „Ein vertrauensvolles, freundschaftliches Miteinander im Team, jeder macht alles, Sinnhaftigkeit und Freude bei der Arbeit und das Gefühl ein bisschen die Welt zu retten…“

Der Vortrag von Nina Horn, Programmleiterin des Oetinger-Verlags, über die Lektoratsarbeit in einem großen Kinderbuch-Verlag machte das gesamte weiterBilden-Programm rund: Die Teilnehmer*innen erlangten ein Bild aus den unterschiedlichsten Perspektiven der Kinderbuchproduktion.

Nina Horn begann mit einer kurzen Darstellung der Unternehmenstruktur und der verschiedenen Verlagssparten der Verlagsgruppe Oetinger, erzählte von Erfolgen und den wichtigsten Bücher, Daten und Fakten des Verlags. Sie gab interessante Einblicke in die Tätigkeitsfelder des Verlagslektorats und dekonstruierte das allgemein verbreitete romantische Bild, dass man als Lektor*in vor allem Bücher lese. In ihrem Beruf gehe es sehr viel um Zahlen, also Auflagen und Verkaufszahlen, Honorare, Metadaten, etc. Zwischen all den Aufgaben, die sie als Lektorin jongliere, sei es eine Herausforderung das eigentliche Lektorieren von Büchern und Lesen von Prüftiteln im Alltag unterzubringen. Häufig lese sie neue Bücher am Wochenende und in ihrer Freizeit.
Auf großes Interesse stieß unter anderem die Erläuterung, wie Illustrationen für die Bücher ausgewählt werden und wie die Koordination und Zusammenarbeit zwischen Autor*innen, Illustrator*innen und Verlag verläuft.

Zum Abschluss gab sie den Teilnehmer*innen und uns eine interessante Übung zu Kreativität und Out-of-the-box-Denken. Gar nicht immer so einfach, aber machbar – vor allem gemeinsam.

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