Lesen ohne Bücher

Kirsten Boies Geschichten entstehen auf dem Grund feiner Beobachtungen des ganz realen Lebens. Wie Menschen, besonders wie Kinder leben, sprechen, spielen, das kann Kirsten Boie sehr genau sehen und in Worte, mehr noch, in Geschichten kleiden. Sie macht uns die  Welt mit ihren Worten sichtbarer. Oft sind das Welten, die wir scheinbar kennen, so wie im Möwenweg etwa.

Dass aber nicht überall Möwenweg ist, das weiß Kirsten Boie nicht nur, sondern sie hat uns sehr oft schon entführt in fremde oder zurückliegende Zeiten, mit „Monis Jahr“ etwa, aber doch auch mit dem „Ritter Trenk“. Und dass nicht überall Möwenweg ist, dass wissen alle ihre Leserinnen spätestens seit „Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen“.

Das schmale, dennoch schwere Buch mit den Geschichten der Kinder aus Swasiland, großartig illuminiert von Regina Kehn, war das eindringliche literarische Zeugnis ihres schon jahrelangen Engagements in Swasiland, diesem armen, wunderschönen, südafrikanischen Land, reich an Landschaft und reich an Elend. Vornehmlich für die das Land prägenden Aidswaisen engagiert sich Kirsten Boie: Für medizinische und andere Grundversorgungen. 
Bis Kirsten Boie auch im fernen Afrika auch das zu ihrem Anliegen machte, was sie auch hier in Deutschland so eindrucksvoll unterstützt: Leseförderung für die Kinder. Aber die Kinder Swasilands brauchen   Medizin und Wasser und etwas zu Essen doch viel nötiger als ein Buch, oder?

Nicht ein Buch gab es aber bislang in Swasiland für die Kinder in ihrer eigenen Sprache! Dieser Umstand führte Kirsten Boie zu der Idee, die sie seit einiger Zeit umtreibt: Auch Kinder, die eigentlich nichts haben, brauchen vor allem doch eines: Bildung. Bildung, die vor allem mit Freude erworben wird. Also: einfach gute Geschichten, gute Bücher mit Bildern und Geschichten, die diese Kinder erfreuen können. Darüber, wie so etwas hinzukriegen wäre in einem Land, in dem es tatsächlich an allem mangelt, das war Thema des heutigen Vortrags im Kinderbuchhaus.

Knapp 30 interessierte Menschen waren gekommen, um in thematisch passenden Temperaturen Kirsten Boies erstaunliche Berichte zu ihrer Arbeit in Afrika und ihrer Möwenweg-Stiftung zu hören. Es war spannend und, wie bei Kirsten Boie üblich, mit Humor vorgetragen und wird gerade deshalb sicherlich vielen Zuhörern zu denken geben,  nicht nur auf ihrem Weg nach Hause in unserer so bilder- und buchreichen Welt.

Darf man denn eine Stiftung, die sich für die Ärmsten der Armen, für die Aisdwaisen in Swasiland engagiert, „Möwenweg-Stiftung“ nennen? Kirsten Boie hat das vermutlich ganz mit Absicht so entschieden. Denn das bleibt mir von diesem Abend ganz eindringlich im Gedächtnis: Auch und gerade diese Kinder brauchen noch mehr als Brot und Wasser und Medizin. Sie brauchen Freude am Leben, Neugier auf die Welt der Bücher, der Bildung. Auch wenn es wohl nie einen Möwenweg in Swasiland geben wird, so wird es dort mit Unterstützung der Möwenweg-Stiftung Kinder geben, die Bücher wollen. Mit Geschichten, in den sie selbst vorkommen. Geschichten, durch die sie sich vorstellen können in ihrer Welt handeln zu können.

Danke, Kirsten Boie für diesen wertvollen Abend.

Kirsten Boie

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